“Am Schluß eines damals verfaßten, auch ins Englische übersetzten 'Lebensabrisses' hatte ich im halb spielerischen Glauben an gewisse Symmetrien und Zahlenentsprechungen in meinem Leben die ziemlich bestimmte Vermutung geäußert, daß ich im Jahre 1945, siebzigjährig, im selben Alter also wie meine Mutter, das Zeitliche segnen würde. Das ins Auge gefaßte Jahr, sagte der Mann, sei so gut wie abgelaufen, ohne daß ich Wort gehalten hätte. Wie ich es vor der Öffentlichkeit rechtfertigen wolle, daß ich immer noch am Leben sei.”

Thomas Mann

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“Die älteste Sprache, sagt man, sei das Indogermanische, Indo-europäische, das Sanskrit. Aber es ist so gut wie gewiß, daß das ein "Ur" ist, so vorschnell wie manches andere, und daß es eine wieder ältere Muttersprache gegeben hat, welche die Wurzeln der arischen sowohl wie auch der semitischen und chamitischen Mundarten in sich beschloß. Wahrscheinlich ist sie auf Atlantis gesprochen worden, dessen Silhouette die letzte im Fernendunst undeutlich noch sichtbare Vorbirgskulisse der Vergangenheit bildet, das aber selbst wohl kaum die Ur-Heimat des sprechenden Menschen ist.”


“Aber für ihn war Musik - Musik, wenn es eben nur welche war, und gegen das Wort von Goethe: 'Die Kunst beschäftigt sich mit dem Schweren und Guten' fand er einzuwenden, daß das Leichte auch schwer ist, wenn es gut ist, was es ebensowohl sein kann wie das Schwere. Davon ist etwas bei mir hängengeblieben, ich habe es von ihm. Allerdings habe ich ihn immer dahin verstanden, daß man sehr sattelfest sein muß im Schweren und Guten, um es so mit dem Leichten aufzunehmen.”


“Jetzt sehe ich erst, daß du ein Mensch bist wie ich. Ich habe gedacht an deine Handgranaten, an dein Bajonett und deine Waffen – jetzt sehe ich deine Frau und dein Gesicht und das Gemeinsame. Vergib mir, Kamerad! Wir sehen es immer zu spät. Warum sagt man uns nicht immer wieder, daß ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, daß eure Mütter sich ebenso ängstigen wie unsere und daß wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz –. Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein? Wenn wir diese Waffen und diese Uniform fortwerfen, könntest du ebenso mein Bruder sein wie Kat und Albert. Nimm zwanzig Jahre von mir, Kamerad, und stehe auf – nimm mehr, denn ich weiß nicht, was ich damit noch beginnen soll.”


“Du wirst mir ganz fremd, wenn du mit mir schläfst", habe ich ihm gesagt, und dass das Bett die einzige Bühne sei, auf der er wirklich Theater spiele, auf der er nicht mehr einfach Is sei, sondern ein anderer, unecht, eine Bündelung von Klischees, ein gespielter Mann, jemand, der seine Scham, Angst, Verklemmtheit und vielleicht sogar seine Aversion gegen Sex überschreie. Und dass ich ihn sehr begehre, sagte ich ihm, dass ich wie eine Wahnsinnige nach ihm verlange, ihm im Bett aber noch nie begegnet bin, und dass ich nicht das Zeug dazu habe, ihm da rauszuhelfen, dass ich auch gar nicht wüsste, wie ich das so eins, zwei, drei machen sollte.”


“Ich ging in die Wälder, weil ich bewusst leben wollte.Ich wollte das Dasein auskosten. Ich wollte das Mark des Lebens einsaugen!Und alles fortwerfen, das kein Leben barg, um nicht an meinem Todestag Innezuwerden, daß ich nie gelebt hatte.”


“Den Ersten Weltkrieg konnte ich noch absolvieren, ohne zu wissen, wie ein Maschinengewehr funktioniert. Zwei Mal meldete ich zu den Fliegern, einmal, weil ich mich mit dem Oberst verkracht hatte, das zweite Mal honoris causa, als der Untergang des Reiches sich abzeichnete. Gewiss hätte ich damit das Feld meiner Stärke verlassen; der Vater sah das viel besser; er sagte:” Du bist Infanterist und must dabei bleiben. Das ist eine gute Sache; zu Fuss kann man sich immer forthelfen.” Das war richtig und gilt für mich noch heute; hundert Schritt zu Fuss sind besser als tausend Kilometer im Flugzeug oder im Automobil.”