“Es gibt sicher schönere Gegenden zum Reiten, doch nirgendwo wird man von so vielen unschuldigen Familien mit unschuldigen Kindern und Hunden an der Leine bestaunt, die sagen: Jö ein Pferterl, auf dem auch sie gern reiten möchten, wofür sie eine Ohrfeige bekommen, wenn sie zu lautstark insistieren. Das können wir uns nicht leisten. Zum Ersatz wird dann der Bub oder das Mädel auf das schaukelnde Plastikpferd vom Ringelspiel gepflanzt, wo sie gellend weiterplärren. Daraus könnte das Kind etwas lernen, nämlich dass es für die meisten Dinge billige Kopien gibt, die ihm vorbehalten bleiben.”
“Der Herdeninstinkt schätzt ja überhaupt das Mittlere hoch ein. Er preist es als wertvoll. Sie glauben, sie seien stark, weil sie die Mehrheit bilden. In der mittleren Schicht gibt es keinen Schrecken, keine Furcht. Aneinanderdrängen sie sich um der Illusion von Wärme willen. Mit nichts ist man im Mittleren allein, mit sich selbst schon gar nicht.”
“Der bequeme Fernsehstuhl breitet weit die Arme aus, leise ertönt die Signation zur Zeit im Bild, nüchtern regt sich der Nachrichtensprecher über seiner Krawatte. Auf dem Beistelltisch in beispielgebender Fülle und Buntheit eine sortierte Schüsselsammlung mit Naschereien, aus der sich die Damen abwechselnd oder zugleich bedienen. Wenn sie leer ist, wird sie sogleich nachgefüllt, es ist wie im Schlaraffenland, wo auch nichts zuende geht und nichts anfängt.”
“Natürlich ist ein Selbst viel umfassender als der innere Erzähler. Die Insel des selbst-bewussten Geschichtenerzählers liegt mitten in einem Meer von Unbewusstem, über das wir nichts wissen, nie etwas wissen werden oder das wir vergessen haben. Es gibt vieles in uns, das wir nicht beherrschen oder wollen, aber das bedeutet nicht, dass es unwichtig wäre, eine Erzählung für uns selbst zu finden. In der Sprache bilden wir den Lauf der Zeit so ab, wie wir ihn empfinden – das Es war, es ist, es wird sein. Wir abstrahieren, denken und erzählen. Wir ordnen unsere Erinnerungen und verknüpfen sie miteinander und diese Bruchstücke bekommen einen Besitzer: das autobiographische Ich, das nicht ohne ein Du ist. Für wen erzählen wir denn schließlich? Auch allein in unseren Köpfen ist ein vorausgesetzter anderer dabei, die zweite Person unserer Rede.”
“Ein Junge und ein Mädchen liegen auf dem Boden, vor sich die Dachschräge. Sie konzentriert sich auf den Jungen, der aus dieser Entfernung so aussieht, als wäre er in ihrem Alter. Und selbst aus dieser Entfernung kann sie erkennen, dass das Buch, aus dem er ihr vorliest, "Das Buch der Begebenheiten" ist.Der Junge schläft ein, und das Mädchen legt den Kopf auf seine Brust. Brod will mehr hören - sie will schreien: LIES MIR WEITER VOR! ICH MUSS ES WISSEN! -, aber sie können sie von dort, wo sie ist, nicht hören, und von dort, wo sie ist, kann sie die Seite nicht umblättern. Die Seite - Brods papierdünne Zukunft - ist, von dort, wo Brod ist, unendlich schwer.”
“Gleich wird sie dieses Stück ihres Lebens bei einer Freundin und bei Rindfleisch mit Fisolen repetieren, das Leben gleichsam um diese kleine Spanne des darüber Berichtens verlängern, wäre nicht die Zeit während ihrer Erzählung, die ja ihrerseits unaufhaltsam verstreicht. Und der Dame damit Raum für neues Erleben nimmt.”
“Es gibt nur eine Art und Weise, eine andere Kultur zu verstehen. Sie zu leben. In sie einzuziehen, darum zu bitten, als Gast geduldet zu werden, die Sprache zu lernen. Irgendwann kommt dann vielleicht das Verständnis. Es wird dann immer wortlos sein. In dem Moment, in dem man das Fremde begreift, verliert man den Drang, es zu erklären. Ein Phänomen erklären heißt, sich davon entfernen.”