“Die Wüste ist die Landschaft der Offenbarung. Sie ist uns sowohl genetisch als auch physiologisch fremd, sie ist karg, ästhetisch abstrakt und seit jeher feindseliges Gebiet… In Form und Gestalt ist sie kühn und von erregender Wirkung auf die Phantasie. Die Sinne werden von Licht- und Raumeindrücken überwältigt, von dem kinästhetischen Novum der Leblosigkeit, den hohen Temperaturen und dem Wind. Der Wüstenhimmel ist allumfassend, majestätisch und grauenerregend zugleich. In allen anderen Lebensräumen ist der blaue Rand über dem Horizont stets durchbrochen oder verschleiert; hier dagegen zeigt er sich in seiner ganzen unermesslichen Weite, unendlich viel weiter als in hügeligen Landschaften und bewaldeten Regionen… In einem unverstellten Himmel wirken die Wolken mächtiger, plastischer, so als spiegele sich an ihrer konkaven Unterseite die Rundung des Erdballs selbst. Die kantige Klarheit der Wüste verleiht den Wolken ebenso wie der Landschaft das Antlitz einer monumentalen Architektur…Propheten und Eremiten ziehen in die Wüste, Pilger und Verbannte ziehen durch sie. Hier haben die Gründer der großen Religionen ihr therapeutisches und spirituelles Refugium gesucht, nicht als Zuflucht vor der Wirklichkeit, sondern, im Gegenteil, um sie zu finden.”

Paul Shepard

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“Er erlebte die Stadt wie einen Wald. Er dachte: Sie liegt nicht auf einer Insel, sie ist die Insel. Sie ist nicht in eine Landschaft gebaut, sondern ist die Landschaft. Eine Landschaft von steinerner Vegetation, die den Menschen nicht gehört, in die sie erst Schneisen schlagen und in der sie ihre Wohnungen erst begründen müssen. Die Schneisen und Wohnorte können von der Vegetation auch wieder eingeholt und überwuchert werden. Manchmal stieß er auf abgerissene Häusergevierte, Trümmergrundstücke, Fassaden mit leeren oder vermauerten Türen und Fenstern – wie vom Krieg verwüstet, und weil es keinen Krieg gegeben hatte, wie von der Natur ergriffen. diesmal nicht der wuchernden des Waldes, sondern der wütenden eines Erdbebens. Und wie wachsende Kristalle die hochstrebenden neuen Bauten.”

Bernhard Schlink
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“Ein Junge und ein Mädchen liegen auf dem Boden, vor sich die Dachschräge. Sie konzentriert sich auf den Jungen, der aus dieser Entfernung so aussieht, als wäre er in ihrem Alter. Und selbst aus dieser Entfernung kann sie erkennen, dass das Buch, aus dem er ihr vorliest, "Das Buch der Begebenheiten" ist.Der Junge schläft ein, und das Mädchen legt den Kopf auf seine Brust. Brod will mehr hören - sie will schreien: LIES MIR WEITER VOR! ICH MUSS ES WISSEN! -, aber sie können sie von dort, wo sie ist, nicht hören, und von dort, wo sie ist, kann sie die Seite nicht umblättern. Die Seite - Brods papierdünne Zukunft - ist, von dort, wo Brod ist, unendlich schwer.”

Jonathan Safran Foer
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“Der bequeme Fernsehstuhl breitet weit die Arme aus, leise ertönt die Signation zur Zeit im Bild, nüchtern regt sich der Nachrichtensprecher über seiner Krawatte. Auf dem Beistelltisch in beispielgebender Fülle und Buntheit eine sortierte Schüsselsammlung mit Naschereien, aus der sich die Damen abwechselnd oder zugleich bedienen. Wenn sie leer ist, wird sie sogleich nachgefüllt, es ist wie im Schlaraffenland, wo auch nichts zuende geht und nichts anfängt.”

Elfriede Jelinek
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“Flucht ist hier nicht die Beschäftigung mit der Vergangenheit, sondern gerade die entschlossene Konzentration auf Gegenwart und Zukunft, die blind ist für das Erbe der Vergangenheit, von dem wir geprägt sind und mit dem wir leben müssen”

Bernhard Schlink
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“Alles ist so vergeblich wie ein Herumstochern in Asche und so vage wie der Augenblick, bevor der Morgen graut. Und das Licht fällt so vollkommen und heiter auf die Dinge, vergoldet sie so prächtig mit traurig lächelnder Wirklichkeit! Das ganze Mysterium der Welt kommt herab zu mir, bis es vor meinen Augen Banalität und Straße wird. Wie sich doch Alltag und Geheimnis berühren in unserer unmittelbaren Nähe! Hier, an der lichten Oberfläche dieses vielschichtigen menschlichen Lebens, lächelt die Zeit ungewiss auf den Lippen des Mysteriums! Wie modern dies alles klingt! Und im Grunde so alt, so geheimnisvoll, mit einem so anderen Sinn behaftet als dem, der in all dem leuchtet!”

Fernando Pessoa
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